Samstag, 19. Mai 2012

Zwölf Stunden



 Wir küssten uns zum Abschied. Was wir nicht wussten, ist, dass es bei diesem Abschied bleiben würde. Das war am Morgen.

Am Abend sahen wir uns wieder, doch du hattest deine Freundin dabei. Du ignoriertest mich. Sie begrüßte mich freundlich. Sie wusste von nichts.
Ich bin sauer auf dich, aber vor allem auf mich. Ich habe ein schlechtes Gewissen deiner Freundin gegenüber, über welche du noch am selben Morgen sagtest, dass du dich von ihr trennen würdest, sobald sie in der Stadt ankäme. Sie kam auch, obwohl ihr Beiden mehrmals heftigen Streit hattet, aber Schluss machtest du nicht. Und sie wusste auch nicht, dass ihr Freund vor wenigen Stunden mit einer anderen im Bett gelegen hatte und eigentlich nie wieder etwas von ihr wissen wollte.
An diesem Morgen war alles so glasklar, ohne jegliche Zweifel. Uns war zwar bewusst, dass wir ihr gegenüber unfair handelten, doch in diesem Moment schien die Tatsache, dass du in wenigen Stunden mit ihr Schluss machen würdest, wie eine Art Entschädigung.
Ich weiß nicht, was da zwischen Morgen und Abend, zwölf Stunden um genau zu sein, passiert ist, was da in dir vorgegangen ist, oder was sie getan hat. Sie war zwar nie besonders tolerant zu dir und hat dir das Leben eher unnötig schwer gemacht, aber niemand verdient solch einen Vertrauensbruch. Ich persönlich werde dir auch nicht mehr so wie früher vertrauen können, obwohl wir höchstwahrscheinlich wieder zueinander finden werden. Man sagt, dass wir uns mögen, sieht jeder Blinde. Und tatsächlich habe ich mich mit noch keinem Menschen so gut verstanden, wie mit dir. Dass ich schon Ewigkeiten in dich verliebt bin (und andersherum), macht es für mich nicht unbedingt einfacher. Für dich dagegen schon, jedenfalls reichte es, um mich herumzukriegen.
Letztendlich ist da eine wunderschöne Freundschaft in die Brüche gegangen und für dich wohl auch die Beziehung, denn, wie ich dich kenne, hast du große Schuldgefühle.
Ich bin nach wie vor ziemlich verwirrt. Zwischen all diesen Ereignissen liegt jeweils nur ein sehr geringer Zeitabstand. Aber glücklicherweise bin ich kein Mensch, der länger als zehn Minuten trauert oder in Selbstmitleid versinkt. Ich habe schon ganz andere Sachen erlebt und das hier wird mir sicherlich nicht die Ferien verderben. Glaube ich...